Review: Front Line Assembly – ‘Echogenetic’

Front Line Assembly - EchogeneticEchogenetic steht vor der Tür. Komplex, tiefgehend – bisweilen pompös. Ein Front Line Assembly Werk, das vor allem eines klarstellt: Die Band um Chefdenker Bill Leeb ist mittlerweile im vierten Jahrzehnt tätig, aber zum alten Eisen gehört die Formation ganz bestimmt nicht – und für Überraschungen sind F.L.A. immer gut.

Front Line Assembly – Echogenetic

Echogenetic, das ist ein besonderer, ein spezieller Ansatz. Auch bedingt durch die Ankündigung von Bill Leeb, das neuste Front Line Assembly Werk an den klassischen EBM-Alben Caustic Grip und Tactical Neural Implant zu orientieren.

Ihres Zeichens absolute Höhepunkte des Front Line Assembly Werdegangs und unstrittig bis zum heutigen Tage explizite EBM/Industrial-Referenzen.

Diesen Anspruch, diese extrem ambitionierte Aufgabe löst die Band zumindest teilweise ein. Natürlich war keine 1:1-Kopie zu erwarten, dafür stehen Front Line Assembly nicht.

Um es zunächst wertfrei abzukürzen: Front Line Assembly kommen sich während ihrer Mission sozusagen selbst in die Quere. Denn offensichtlich wirkt der AirMech-Soundtrack mit seinen Dubstep-Impulsen noch nach.

Stets agiert das Projekt dabei am oberen Produktionslimit, lugt hinter alle Ecken, was derzeit in der Musikwelt so vor sich geht und was interessant erscheint. Wie angekündigt verzichten die Musiker auf Gitarren, es ist ein Album für Elektronik-Puristen.

Echogenetic entfaltet sich als einzig- und eigenartige Kunstschöpfung, ein Hybrid aus den klassischen F.L.A. Anfang der 90er Jahre und durchaus trendigen Elementen. Dementsprechend kontrastreich die ersten Reaktionen der Fans.

Das AirMech Erbe

‘EBM-Step’ oder ‘Leeb-Step’ – originelle und kuriose Wortschöpfungen grassierten. Dennoch ist Echogenetic trotz der überraschenden Einflüsse ganz bestimmt kein ausgewiesenes Dubstep-Werk, denn dazu müsste man einen Großteil der F.L.A. Soundgewalt auf dem Album ignorieren.

Anleihen sind wie erwähnt spürbar, besonders beim soundtrackartigen Trommel-Inferno Prototype. Ohne Zweifel eine packende, instrumentale Nummer, die stilistisch aber sicher mehr dem AirMech-Album nahe steht.

Front Line Assembly Breitseiten

Genug zum Thema Dubstep, denn Echogenetic verdichtet die bisherige Front Line Assembly Geschichte in größtenteils hochgradig inspirierten Sound-Eruptionen.

Killing Grounds lebt etwa den musikalischen Jagdtrieb, den legendären Club-Killer-Instinkt aus.

Es kommt in der Strophe tatsächlich mit besten Caustic Grip Vocals und passender Bassgewalt daher. Dazwischen lauert ein Breakdown-Intermezzo, daran muss man sich vermutlich gewöhnen, den kraftvollen Charakter schmälert das nicht.

Blood oder das Titelstück Echogenetic klingen gekonnt vertrackt, Schicht für Schicht lösen Leeb und Kollegen ihre musikalischen Rätsel in den temporeduzierten Tracks auf.

Unglaublich düster die an Science-Fiction Szenarien gemahnenden Stimmungen. Flirren, flackern und rotieren – die hakenden, apokalyptischen Sounds drehen durch, Leebs Robovoices fügen sich nahtlos ein.

Als wahres Monster von einem Song enttarnt sich Deadened: Der etwas schleppende Midtempo-Titel baut sich allmählich drohend auf, um im prägnanten Refrain seine ganze, tief sitzende Dynamik zu entfalten.

“Typisch Front Line”, mag man ausrufen – eine bärenstarke Referenz an die frühen Tage, topmodern und stampfend inszeniert, Musik für nimmermüde Elektronik-Bastarde.

Hinter den neuen Songs steckt nicht nur Soundtüftelei, auch die Ideen, die Songkreativität scheint gestärkt.

Ausgetüftelte bis epische melodische Songs prägen Echogenetic

Das große Kino inszenieren Front Line Assembly in den betont melodischen Nummern, deren vielschichtiger und unglaublich originell konstruierter Unterbau den virtuosen Gegenpol zu den einfachen und doch ergreifenden Melodien stellt.

Spannenderweise profitieren besonders diese Titel von der Mixtur aus Tradition und Moderne.

Ghosts und vor allem das intensive Exo zählen zu den besten melodischen (Pop?-) Songs, die Front Line Assembly jemals produziert haben.

Besonders bei diesen Titeln schimmert die geniale Tactical Neural Implant und ebenfalls Hard Wired Komplexität durch. Ein Klangfetischismus der perfekten Art mit Gänsehautgarantie.

Lediglich Leveled und Heartquake fallen auch nach mehrmaligem Hörern spürbar ab, ohne dass man DEN Kritikpunkt definieren könnte. Sie wirken schlichtweg etwas blutleer.

Echogenetic: klassisch, überraschend und modern – F.L.A. 2013

Fazit: Trotz 1-2 Durchhängern ist Echogenetic sowohl ein klassisches als auch ein überraschendes Werk geworden. Front Line Assembly mixen ihre Stärken aus der Tactical Neural Implant und Caustic Grip Phase mit neuster Produktion und einigen Dubstep-Anleihen, die aus dem AirMech-Soundtrack nachhallen.

Neben den Floorfillern Killing Grounds und dem Geheimtipp Deadened überragen die fast epischen und extrem ausgefeilten “Balladen” Ghosts und Exo. Bewegend auf allen Ebenen.

Wertung: 8.5 von 10 Punkten (8.5/10)

Echogenetic Release Infos

Interpret: Front Line Assembly
Label: Dependent
Release: 12.07.2013
Stil: Industrial/EBM

Tracklisting:
01. Resonance
02. Leveled
03. Killing Grounds
04. Blood
05. Deadened
06. Ghosts
07. Echogenetic
08. Exhale
09. Exo
10. Prototype
11. Heartquake



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4 thoughts on “Review: Front Line Assembly – ‘Echogenetic’”

  1. Michael sagt:

    Schon interessant wie unterschiedlich die Referenzen gesehen werden, für mich ist es eher eine Mischung der besten Eigenschaften der letzten drei Alben…(Airmech nicht mitgezählt). Aber ein geiles Album…

    1. klangwelt sagt:

      Nun, die imho gelungene IED-Scheibe griff ja durchaus bereits das starke Songwriting der frühen bis mittleren 90er Jahre auf und erinnert etwas an das Millenium-Album.

      Was ich hier nicht vernehme, das ist der Artificial Soldier Sound, der, trotz einiger Highlights, unglaublich konfus und vor allem hibbelig rüberkam. Das ist bei Echogenetic bei aller Komplexität nicht der Fall. Zumindest in der hier vertretenen Einschätzung.

      Aber ein starkes Album, wie immer es man auch begründet ;-)

      Danke für den Kommentar :-)

  2. Thomas Urban sagt:

    Ich beobachte diese Band seit meinem 16 Geburtstag 1987. Unglaublich wie farcettenreich sich Leeb immer wieder neu erfindet. Nicht das ich immer alles toll finde, aber Perlen findet man immer wieder. Auf dieses Album freue ich mich allerdings besonders, weil die Mischung aus Electro und dubsteb finde ich persönlich sehr spannend. Endlich mal wieder Spannung in dieser Musikrichtung,

    1. klangwelt sagt:

      Ebenfalls ein ‘alter’ Follower, ja? Schön :-)

      Diese wegweisende Band gibt´s schon so lange und dennoch sind F.L.A. immer wieder in der Lage, absolut hochwertiges Material herauszubringen. Mein Start war mit der Digital Tension Dementia 12th. Viel mitgemacht im Laufe der Zeit, tolle Phasen, Momente, in denen man dachte: “Das war es.” In den letzten Jahren gefallen sie mir (auch live) wieder richtig gut.

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