Amnistias neues Album The Nature Of Man dringt tief in die menschliche Existenz ein, beleuchtet gesellschaftliche Dramen, emotionale Extreme und die vielfältigen Schattenseiten des Seins in der Gegenwart. Was könnte für die musikalische Inszenierung menschlicher Abgründe besser geeignet sein als multidimensionaler Dark Electro bzw. Body Wave von Profis wie Amnistia?
Amnistia – The Nature Of Man
Bereits der Opener Init Nothing Box baut eine sehr dichte bis bedrohliche Atmosphäre auf, in welcher nach und nach schwergewichtige Drums den Ton angeben. Es folgen brodelnde bis kopflastige Mid-Tempo-Tracks (Why, The Dark´s Sweet Kiss), schleppende Kompositionen ambitionierter musikalischer Couleur (A Place), herausragende Szenekracher (Tightrope) sowie Kompositionen mit soundtrackartigem Charakter und wunderbaren Sprachsamples (Theory In Strings).
Trotz des anspruchsvollen Sounddesigns besticht The Nature Of Man konsequent durch immanente Dynamik. Vielschichtige, auch in sich abwechslungsreiche Kompositionen von Tino Klaus und Stefan Schötz bahnen sich mit rhythmischem Druck ihren Weg. The Nature Of Man, das ist kein esoterischer Wohlfühltrip ins Innere, vielmehr erfährt der Hörer eine gekonnte Überwältigung mittels elektronischer Impress- und Expressionen.
Konsequente Unruhe als Trademark
Subtil und geschickt integriert das Duo dabei Einflüsse von Szenegrößen wie Front Line Assembly (Phönix Rising) und Skinny Puppy.
Auf dem gesamten Album tritt dem Hörer eine stete Unruhe entgegen: Es brodelt, wabert, zirpt und rattert. Amnistia packen den mittleren Bereich der Frequenzen voll mit sich überlagernden elektronischen Signalen. Fast wirkt es so, als bekommen die Maschinen bei der Produktion auch mal ihren Willen. Einerseits faszinierend, dann wieder herausfordernd.
Szenerie und Kontur
Es zeichnet The Nature Of Man ganz besonders aus, dass es sich nicht darauf beschränkt, eine kontinuierliche bedrohliche Atmosphäre zu vermitteln, sondern auch Songs darbietet, welche durch ihre Griffigkeit den Zugang erleichtern.
So harmoniert beim Titeltrack der Melodiebogen mit der kritischen Botschaft. Tanzstoffpotenzial findet sich im ebenso gradlinigen wie leicht hymnischen 3Me. Me, myself and I im Einklang – oder doch nicht so ganz? Idealerweise herauszufinden auf nem guten, dunklen Electrofloor.
Glanzpunkte
Den Kracher überhaupt liefern Amnistia allerdings mit Tightrope ab: Wenn nach etwa 40 Sekunden Intro erstmalig Rhythmik und Bass einsetzen, dann keimt sofort ein organisches, ja fast rockiges Gefühl auf, wie es einige alte Wax-Trax-Releases auszeichnet. Der Bass erinnert schon ein wenig an die beste Zeit der Revolting Cocks, stellt aber ganz sicher keine einfache Kopie dar.
Während der nachdenklichen Strophe flankieren leicht entrückte Sounds den stimmigen Gesang. Dadurch baut sich eine nervöse Gestalt auf, die auf Schließung drängt. Und damit lassen sich Amnistia wahrlich Zeit, denn der Refrain bricht erst nach über 3 Minuten Spielzeit herein. Unterlegt von harten Gitarren vollendet der griffige und gesanglich wirklich beste Moment des Werks den Track. Typisch Amnistia: Die Musiker schaffen es immer wieder, eine sehr besondere Wirkung heraufzubeschwören.
Mit über neun Minuten Spielzeit markiert A Song Of Blood – hypnotisch eingesprochen, dabei krass in den Lyrics und musikalisch unheilvoll ausufernd – die letzte Etappe des Albums. Dieses Epos zeigt eindrücklich auf, welche Bandbreite an Sounds und Stimmungen Amnistia im Jahre 2024 ihr Eigen nennen. Es fällt schwer, sich dem fast zehnminütigem Sog zu entziehen.
Fazit:(Nicht nur) Amnistia-Fans werden mit The Nature Of Man gerne connecten. Ambiente, komplexes Sounddesign und Ideenreichtum überzeugen auf ganzer Linie – die Tracks stecken randvoll mit faszinierenden Klängen und Ideen. Besonderen Eindruck hinterlassen jene Songs, in denen Amnistia ihre Kompositionen entweder so richtig erdig auf den Punkt bringen (Tightrope) oder die Maschinen epochal ihre Geschichte erzählen lassen (A Song Of Blood).
Wertung: 8.5 von 10 Punkten (8.5/10)
The Nature Of Man Releaseinfos
Interpret: Amnistia
Release: August 2024
Stil: Dark Electro / Body Wave
Tracklisting:
01. Init / Nothing Box
02. Creatures
03. Why?
04. New Demons
05. The Nature Of Man
06. Nothing’s Random
07. Tightrope
08. Theory In Strings
09. The Dark’s Sweet Kiss
10. 3Me
11. Phoenix Rising
12. A Place
13. Song Of Blood
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