Dreieinhalb Jahre nach Planisphères bricht das Projekt Signal-Bruit zu einer neuen, streng konzeptuellen Reise auf hoher See auf. Hyperborée, benannt nach einem magischen Ort, der im nördlichen Polarkreis angesiedelt ist, fungiert als Ziel und Vision gleichermaßen. Der stimmungsvolle instrumentale Trip, durchaus inspiriert von der Berliner Schule, bietet spannende Ruhe – und erlaubt es in besonderen Momenten, eigenen eskapistischen Tendenzen zu frönen.
Signal-Bruit – Hyperborée
Wenn es bei dem ein oder anderen Leser angesichts des Titels Hyperborée klingeln sollte, dann ist das kein Zufall: Tangerine Dream scheinen nicht nur einen magischen Einfluss, eine Quelle der Inspiration, für Signal Bruit zu bieten, vielmehr veröffentlichten die legendären Musiker ebenfalls ein Werk mit dem ähnlich lautenden Namen Hyperborea.
Doch Inspiration ist keine Kopie, nicht mal offenkundige Zitate verwendet Member U-0176 alias Signal-Bruit. Kreativer Ausgangspunkt ist Reise des griechischen Seefahrers Pytheas, welche etwa 400 Jahre vor Christus zu verorten ist.
Der Legende nach suchte dieser jenen sagenumwobenen Punkt am Ende der Nordsee, an welchem die Sonne vermeintlich ewig zu sehen ist. Hyperborée folgt seiner Route, skizziert Stationen mit akustischen Untermalungen, fängt Neugier, Schroffheit und die frostige Weitläufigkeit nordischer Gefilde ein.
Kristalliner Soundtrack einer Seereise
Der auffällig kristalline Charakter vieler Sounds beschreibt die Route präzise, fast wissenschaftlich. Wer vorab intuitiv voluminöse Soundflächen vermutet, die nebelartig den Horizont ins Ungewisse rücken, wird überrascht. Der Einsatz weitläufiger Klänge erfolgt sparsam, fast vorsichtig. So, wie das Ziel der mutigen Reise eben nur zu erahnen ist.
Signal-Bruit erzeugen Momentaufnahmen durch Klangästhetik, frönen tatsächlich jener reduziert-mathematischer Perfektion, welche beispielsweise Clock DVA in ihren soundtrackartigen Momenten so beherrschten. Doch das Kosmische ist auf hoher See nie fern, eine unendliche Ungewissheit lauert im Firmament.
Klang – Deutung – Emotion
So schwingt auf der Reise nicht nur Hoffnung, sondern situativ eine subtile Irrationalität mit, welche vielleicht sogar – gleichsam einem Rorschach-Test – von den Projektionen des Hörers stammt. Die vermittelte Atmosphäre des Albums steht dabei nicht im Widerspruch zu den geschickt integrierten pockernden Sequenzen, welche Wandel und Gestalt der instrumentalen Tracks sichern.
Hektisch wird es nie, dazu gleitet der Blick zu genau über die sich wandelnde Landschaft. Eine Landschaft, gemalt in einem Sound, wie ihn die Pioniere der 70er und vor allem der frühen 80er Jahre vermutlich würdevoll gutheißen.
Experimentelle Passagen (Sirènes, Borée) beschwören eine lauernde Gefahr, generieren geschickt Spannung. Sie greifen musikalisch die Suche nach inhaltsvollen Sounds im letzten Jahrhundert auf. Die stimmungsvollen Höhepunkte des Werks bilden das ebenso elegante wie sich steigernde Baltique sowie das emotionale Finale Nuit Blanche, dessen emotionaler Appell kaum negiert werden kann.
Fazit: Wenn es gelingt, abzuschalten, ein bisschen Ruhe zu finden und sich auf die szenische Suche einzulassen, dann funktioniert Hyperborée gut. Kristallklare Sounds im Rahmen reduzierter Ambient-Arrangements lassen jene Magie erahnen, welche der Seefahrer Pytheas der Sage nach erlebte. Der kühle, streng konzeptuelle Kontext fließt in die Wirkung der Klänge in der Tradition der Beriner Schule ein, doch schwingt bisweilen etwas Versöhnliches mit: Hyperborée ästhetisiert die schroffe, mitunter lebensfeindliche Welt des hohen Nordens. Das zweite Werk von Signal-Bruit erlaubt es dabei, eigene Deutungen in die mit seltenen Rhythmen unterlegte Instrumental-Musik zu projizieren.
Wertung: 7.5 von 10 Punkten (7.5/10)
Hyperborée Release Infos
Interpret: Signal-Bruit
Label: productionB
Release: Juli 2020
Stil: Ambient/Instumentale Musik
Tracklisting:
01. Lacydon – 05:30
02. Pentécontère I – 04:39
03. Atlantique – 05:52
04. Sirènes – 03:26
05. Pentécontère II – 03:41
06. Thulé – 06:30
07. Baltique – 04:08
08. Borée – 02:50
09. Nuit Blanche – 05:46
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