Review: TC75 – 5th

Artikelgrafik: TC75 - 5th

Artikelgrafik: TC75 - 5thTino Claus ist ein echter Tausendsassa, ein unruhiger Geist der EBM- und Industrial-Szene. Unter der schlichten Abkürzung TC75 agiert der Musiker abseits von MRCTC und Amnistia auf Solopfaden. Sein fünfter Streich – kurz 5th betitelt – führt ihn erneut in den expliziten Einflussbereich der klassischen belgischen EBM-Szene. Wuchtig, maschinell-bedrohlich und strukturiert im Vortrag, so die auffälligsten Attribute des neuen Releases. Doch es steckt deutlich mehr dahinter.

Der fünfte Streich von TC75

Viele Tracks auf 5th versprühen den rohen und doch so fokussierten elektronischen Charme, welcher der EBM und dem Industrial der alten belgischen Schule innewohnt. Namentlich sind hier Einflüsse von The Klinik, Insekt oder Dive zu vernehmen. Nicht selten folgt den mit moderaten Effekten besetzen Vocals die Wiederholung der Botschaft mittels Echo aus der Ferne. Ein einfaches, gleichzeitig sehr wirksames, da immersives Mittel.

Doch die bereits erwähnte Rückkehr bedeutet nicht, dass TC75 wieder wie auf den ersten Releases klingt. Nimmt man etwa den frühen Track Shadow Walker als Referenz, dann fällt auf, wie sehr sich die aktuelle Produktion verbessert hat. Klangqualität, Soundauswahl sowie der Druck der Sequenzen fühlen sich 2022 intensiver an, das Geschehen verlagert sich in den Hörer.

Richtig gelesen: Body Music hin, Body Music her, Tino Claus will in Euren Kopf.

Inspiriert von belgischer Underground-Musik

Innerhalb dieses “belgisch” inspirierten Ansatzes lotet TC75 unterschiedliche Ausdrucksformen aus: Hämmernd-industrielle Tracks wie Your Skin, das dezent verrückte Dying Culture oder Body/Soul einen die bassgetriebene Power der EBM mit noisigen Klängen, treiben die Hörer mit hohem Anpressdruck in die Enge. Oder auf geeignete Floors – so denn gewollt.

Dystopisch düster schreiben hingegen schleppende Nummern wie Suffer im Verlauf von 5th die Geschichte der aktuellen Zeit nieder. Und mit dem fast rituellen Soundtrack Control (satte 22 Minuten lang) baut Tino Claus eine Brücke zum Vorgänger Duration.

Rückblick: Duration war jenes unfassbar mentale Album von TC75, das in Lockdown-Zeiten realisiert wurde. Es folgte dem Konzept, dass jede der teils extrem beängstigenden – und thematisch mitunter schwer verdaulichen, mit Sprachsamples bestückten – Collagen innerhalb von 24 Stunden erschafft werden musste.

Wer das Epos The Fall jemals ganz angehört hat, wird vermutlich zustimmen, dass die Produktion dieser Trips vom Protagonisten vermutlich einen besonderen psychischen Zustand einforderte. “Haunting” oder genial? Vielleicht beides.

Dosierung und Effekt

Zurück zum aktuellen Album: 5th wirkt besonders dann nach, wenn Tino Claus ausgewählte Nummern geschickt Schicht für Schicht aufbaut, Dramaturgie, Tempo und Wirkung sukzessiv intensiviert. Waiting [In The Night] sei hierfür als stimmungsvolles Beispiel genannt.

Doch es geht noch besser: So lässt sich die fast greifbare klaustrophobische Dunkelheit des kultverdächtigen Openers So Dark [All Over Europe] nicht mehr abschütteln – sie krallt sich, lokalisiert im Wahnsinn des Jahres 2022, fest.

Radiation schlägt in eine ähnliche Kerbe, weist nach einem dosierten Start zudem einen sehr griffigen Refrain auf. Es spricht wirklich nicht dagegen, vorhandene Qualitäten im Songwriting in Underground-Tracks zu integrieren.

“Traut Euch (!)” – nicht wenigen Künstlern möchte man diese Botschaft aufmunternd zurufen. Ein Hook, eine gesangliche Nuance oder ein griffiger Refrain werten – stilistisch authentisch implementiert – harte elektronische Musik mitunter auf.

So trumpft die Vorabsingle Sun mit genau diesen Stärken auf. Ebenso bedrohlich wie mitreißend ergreift die gradlinige Nummer Besitz von ihren Hörern. Neben Rooms vom Album Popmusesick vielleicht einer der zugänglichen Hits von TC75 bis jetzt.

Fazit: 5th macht die Einschätzung einfach: Wer klassische belgische EBM mit industriell-noisigem Einschlag schätzt, findet hier eine konsequente und vor allem gut produzierte Fortsetzung. Das gesamte Album weist eine harte und düstere, mitunter beängstigende Zeichnung auf. Aus diesem Grund fungiert 5th als ein fast nativ anmutendes Werk seiner Zeit. Treten geschickte, sich allmählich aufbauende Arrangements und dosierte Melodiösität hinzu, dann zeigt das Soloprojekt in genau diesen Momenten, wie viel Ausdrucksmöglichkeiten in EBM und Industrial (noch) schlummern.

Wertung: 8.5 von 10 Punkten (8.5/10)

5th Releaseinfos

Interpret: TC75
Release: November 2022
Stil: EBM/Industrial

Tracklisting:
01. So Dark [ All Over Europe ] 06:01
02. Radiation 03:30
03. Sun 04:12
04. Your Skin 03:17
05. Suffer 03:44
06. Waiting [ In The Night ] 06:47
07. Dying Culture 03:40
08. Soul/Body 03:08
09. There Is A Pain… 03:04
10. Strong 03:47
11. Control 22:32

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