Tomorrow´s World ist ein weiterer Anlauf von Erasure, die lange musikalische Stagnation aufzubrechen. So beschreitet das Duo neue und recht dancelastige Wege, ein Erfolgspfad?
Erasure – Tomorrow´s World
Tomorrow´s World nennt sich das Album zum 25-jährigen Bestehen von Erasure. Auch wenn es Hardcore-Fans nicht gerne hören, nach Chorus folgte ein Bruch beim Duo. Etwas kitschig klangen sie schon immer, das war fast ein Trademark des Duos. Aber nach dem 91er Erfolgsalbum und der anschließenden Abba Coverwelle wirkten die Ideen flacher und oberflächlicher. Ein Verlust an Intensität.
Da nebenbei häufig der Schwung stiften ging, hörte man plötzlich Nummern, die – mit Verlaub gesagt – bei deutschem Gesang dem Schlager zuzuordnen wären. Sicher, das gilt nicht für alle Songs/Alben und mit Breathe erklang Anfang des Jahrtausends eine Single, die das leicht entrückte Feeling früherer Tage versprühte. Halten konnte man dieses Niveau auf den folgenden Werken weniger, mehr als die Einschätzung “nett” war als Feedback nicht drin.
Um neue Impulse zu setzen, schnappten sich Erasure bei Tomorrow´s World mit Vincent “Frankmusic” Frank einen etablierten Produzenten, der Popmusik gerne mit viel Rhythmus und Effekten (Lady Gaga) umsetzt.
Forcierte Rhythmik und massive Danceeffekte
Dieser Produzent schlägt im wahrsten Sinne des Wortes durch: Lange wirkte das Duo rhythmisch nicht mehr so aktiv. Erasure verlassen damit jenes Tempoloch, das fast schon stetige Heimat zu werden drohte.
Aber der Preis ist hoch: Viele Songs wirken trotz perfekter und opulenter Produktion unfertig, man wartet häufig auf die melodische Auflösung oder eine leichtfüßige oder bemerkenswerte Passage.
Tomorrow´s World strahlt durch den dominanten Einfluss des Produzenten etwas aus, das an ein Remixalbum (A Whole Lotta Love Run Riot), in besseren Momenten an die discotauglichen Soloalben von Sänger Andy Bell erinnert.
Freunde des aktuellen Radio-Plastik-Pops klatschen sicher eifrig mit, kämen aber vermutlich nicht auf Idee, dass sie dies zu einem Erasure Song tun. Perfekt getarnte Musik – ob dies das Ziel war?
So bestimmen 90er Jahre Eurodance-Effekte, etwas 70er Kitsch und sogar ab und an ein Schuss Soul (You´ve Got To Save Me Right Now) das Gesamtbild. Viel Platz für das einstmals Typische der Band bleibt dabei nicht, sodass böse Zungen bereits behaupten, das beste an Tomorrow´s World sei die kurze Spielzeit.
Der Erasure Produzent als Sündenbock?
Allerdings sollte man, bevor man den Produzenten alleine schuldig spricht, darauf verweisen, dass einige Melodien von Erasure teilweise die Grenze der Belanglosigkeit locker überschreiten.
Dennoch lohnt sich eine zweite Hörrunde. I Lose Myself, ein satter, moderner Electropop-Stampfer, lädt zum Mitwippen ein. Den laut Bandangaben am wenigsten nachbearbeitete Song kennzeichnet eine einfache, aber eben komplette Songidee, den besseren Solotracks von Andy Bell gar nicht so unähnlich. Gute Nummer.
Die Strophen in Fill Us With Fire versprühen ebenfalls melancholischen Aufbruch, aber warum – verdammt noch mal – machen Erasure so häufig den Sack nicht zu? Als Hauptproblem entpuppt sich dabei die fehlende Dramaturgie vieler Nummern.
Um es zu personalisieren: Man wünscht sich mehr erkennbaren Vince Clarke in Songwriting und Sound, dann kann Andy Bell seine unbestrittenen gesanglichen Fähigkeiten auch wieder mehr ausleben. Gerne mit der neuen rhythmusorientierten Ausrichtung als antreibenden Impuls von “außen”.
Wertung: 5 von 10 Punkten (5/10)
Tmorrow´s World Release Infos
Interpret: Erasure
Label:Mute
Release:30.09.2011
Stil: Dance / Electropop
Tracklisting:
1. Be With You
2. Fill Us With Fire
3. What Will I Say When You’re Gone
4. You’ve Got To Save Me Right Now
5. A Whole Lotta Love Run Riot
6. When I Start To (Break Down)
7. I Lose Myself
8. Then I Go Twisting
9. Just When I Thought It Was Ending
Hi,
ich stimme dem o.g. Fazit voll zu!
Durchaus nenne ich mich Fan, habe fast alle Scheiben und war auf mehreren Konzerten von Erasure.
Ichwar allerdings auch eher enttäuscht vom neuen Album. Mir kommt es vor, als ginge es zu sehr um Kommerz.Auch ich habe das Gefühl, als wären manche Titel einfach nicht fertig geworden.Es fehlt häufig das Finale, was Andy früher immer stimmlich überragend gefühlvoll herüber bringen konnte.
Im Gegensatz zu vorigen Alben gibt es hier keinen einzigen Song, bei dem ich sage, den muss ich sofort nochmal hören, weil er mich einfach ‘umhaut’.
Ich kann nur hoffen, dass diese Scheibe ein kleiner Ausrutscher war und Erasure wieder zu ihrem Standard insachen Melodik, Stimme und Gefühl zurück finden.
Gruß, André!