Tension Control Album Nummer vier greift die Industrielle Revolution und somit indirekt das ewige EBM-Thema der Arbeit auf. Allerdings geht es nicht vorrangig um körperliche Plackerei und Schweiß: Vielmehr leistet das Album die schlaglichtartige Beleuchtung der technischen Entwicklung mitsamt ihrer problematischen Auswirkungen auf Land und Leute. Und zwar von damals bis in die Gegenwart. Elektronisch-roh bis leicht verspielt wartet die Musik auf, textlich strotzen einige Kompositionen vor einfallsreichem Biss und zeitgenössischer Skepsis.
Tension Control – Industrielle Revolution
Zu Beginn eine Analogie: Tension-Control-Kopf Michael Schrader legt mit dem Titel zugleich auf Bandebene nahe, dass eine Entwicklung im Gange ist, eine Weiterentwicklung der klassischen EBM in neue Gefilde. Keine Revolution – auch wenn dies der Albumname suggeriert –, aber eine Evolution durch Erweiterung von Struktur und Sound.
Denn die genretypischen Bassläufe, Sequenzen und Rhythmen pendeln zwischen Redundanz und aufgebrochener Monotonie; zwischen erwartbar kantigem Minimalismus und überraschender Soundeinspeisung. Technisch erweitern Tension Control ihr Klangspektrum mit digitalen Effekten auf den analog erzeugten Sequenzen. Selbst wenn das heißt, dass fanatische Puristen womöglich eine kurzzeitige Gesichtseinfrierung erleiden.
Aus dem Ansatz resultieren einerseits typisch brachiale Songs, aber auch verspielte, teils poppige Sounds. In einigen Tracks erlebt man sogar vielschichtig angeordnete Ebenen. In solchen Momenten zeigt sich deutlich, wie sehr das Projekt seinen eigenen Stil im EBM-Bereich gefunden hat. Man speist sich nicht mehr – wie zu Beginn der Projektes – aus offenkundigen EBM-Inspirationsquellen, sondern schärft das individuelle Profil.
Alte Maschinen und neue Sounds
Wie bei der industriellen Revolution arbeiten die Maschinen im Soundbild von Tension Control zunehmend effizient zusammen. Sei es beim vorab bereits ausgekoppelten No-Nonsense-Track Form Folgt Funktion, im Kontext typischer Sägezahn-Nummern wie Resistance und Surviver oder beim schleppend-wuchtigen Rise Of The Machines. Letztgenannter Track entpuppt sich als Chronologie, welche die Schattenseiten zunehmend mechanisierter Prozesse thematisiert.
Was auf dem vierten Album von Tension Control dann tatsächlich überzeugend Einzug hält, sind neben rhythmischen Variationen einige neuartige Stimmungen. Stimmungen, wie sie Front 242 in ihrer ganz frühen Phase zu Zeiten von Geographie so virtuos kreieren konnten. Feel The Rhythm eint beispielsweise traditionellen Vorwärtsdrang mit einem flirrenden, weitläufigen Flair. Vielleicht die stärkste Nummer des Albums.
Beißende Lyrics
Wer einen Nachfolger des trotzigen, immer gern gespielten Szenehits Reaktanz sucht, findet mit Schöne Neue Welt sowie Und Keiner Geht Hin mögliche Kandidaten. Es sind zeitskeptische Tracks mit deutschem Sprechgesang: Ironisch, bissig und sarkastisch darf frei von der Leber gemotzt werden. Der einfache Reim dient als Mantel für den geschickten Wortwitz.
Dann darf es gerne wieder ruppig werden: Für den blutroten Farbtupfer Käfigkampf lieferte übrigens Ralf Dörper (Die Krupps) den Text. Rohe EBM für Kämpfer und Kämpferinnen, für alte Hasen und junge Hüpfer.
Fazit: Erweiterte Bodymusic mit traditionellem Bewegungsapell auf Rhythmus- und Bassbasis trifft auf Kritik, malträtierten Zeitgeist und beißenden Spott. Die Maschinen mögen schwer schuften und somit die Industrielle Revolution adäquat vertonen, doch die Frische des gewitzten Wortes verleiht dem Album trotz spürbarer Ernsthaftigkeit bisweilen eine spöttische Leichtigkeit, die über den schweißtreibenden Rhythmen und messerscharfen Sequenzen zu thronen scheint. Anspieltipps: Feel The Rhythm, Schöne Neue Welt, Form Folgt Funktion und Rise Of The Machines.
Wertung: 8.0 von 10 Punkten (8.0/10)
Industrielle Revolution Releaseinfos
Interpret: Tension Control
Release: Oktober 2023
Stil: EBM
Tracklisting:
01. Welcome To The New Age 03:38
02. 50 Hertz 03:50
03. Feel The Rhythm 03:56
04. Form folgt Funktion 03:49
05. Schöne Neue Welt 02:48
06. Und Keiner Geht Hin 03:07
07. Rusted Machines 03:13
08. Your Voice (Album Version) 03:28
09. Resistance 03:06
10. Käfigkampf 02:17
11. Survivor 03:01
12. Rise Of The Machines 03:07
13. Doom Does Not Com Quietly 06:39
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