Am 01.10.2010 war es endlich soweit, Front Line Assembly spielten im Rahmen ihrer Europatour erstmals in Hannover – Festivalauftritte früherer Tage mal ausgenommen. Als Support zogen die Mannen um Bill Leeb Mind.In.A.Box an Bord. Es folgte ein bemerkenswerter Abend.
Front Line Assembly im Musikzentrum Hannover
Wir kamen gegen 20.30h im etwas abgelegenen Musikzentrum an. Der Laden fasst schätzungsweise 300 Gäste und bietet eine Bühne, welche fast die komplette Breite des Raumes nutzt. Sichtgarantie für jedermann.
Erfreulich das Drumherum: T-Shirts für nur 15€ sind ja bekanntlich vom Aussterben bedroht und interessierte Gäste bekamen das Tourplakat gleich obendrein.
Ein Blick in die Runde zeigte einige langjährige F.L.A. Weggefährten, die sich prompt die exklusiv erhältliche Angriff EP sicherten. Dazu aber mehr im Laufe der nächsten Zeit.
Der Support: Mind.In.A.Box
Kurz nach 21h betraten Mind.In.A.Box die Bühne. Die Halle war bereits gut gefüllt und Teile des Publikums waren eigens wegen dem Front Line Assembly Support gekommen.
Ehrlich gesagt habe ich nicht all zu viel erwartet, die letzte CD R.E.T.R.O. konnte mit ihrem schicken 8-Bit Sound zwar überzeugen, in der Zeit vorher agierte mir die Band meist zu glatt.
So kann man sich täuschen: Mind.In.A.Box waren eine richtig positive Überraschung. Gleich zwei Gitarristen sorgten mit dosiertem Einsatz für einen bodenständigen Sound und harmonierten prächtig mit der ausgefeilten Elektronik.
An Stimmeffekten sparte die Band bestimmt nicht, im Gegensatz zu vielen anderen Bands variieren die Österreicher dabei aber gerne. Je nach Stimmung des Songs traten dunkel-verdeckte, härtere oder gepitchte Nuancen in den Vordergrund – die Struktur der Titel und die Melodieführung ging dabei nie verloren.
Heraus kam ein breites Spektrum von Electropop über fast an Bauhaus anmutende Songs bis hin zur aktuellen, am Eurodance orientierten Single 8-Bits. Kompliment für einen guten Auftritt, den Applaus gab´s zu Recht. Dann folgte die Zeit der EBM/Industrial Künstler aus Kanada:
Der Hauptact: Front Line Assembly
Mit einem klasse Album im Gepäck enterten Front Line Assembly die Bühne des nun richtig vollen Musikzentrums.
Ein ebenso verstörendes wie kurioses Intro mündete im Titelstück des aktuellen Albums Improvised Electronic Device Um den Punkt kurz zu machen: Der gewaltige Sound blies einen fast aus den Socken. Harte Gitarren, pumpende Elektronik und derbe Vocals hämmerten extrem laut, aber ebenso differenziert durch die Boxen.
Es folgte Circuitry und zunächst hatte es den Anschein, als sollte ein für Hannover doch recht typisches Phänomen rumspuken: Die Leute sind meist sehr reserviert und man hatte fast den Impuls, Teile des Publikums kräftig zu schütteln.
Mit Resist von der legendären Caustic Grip CD war der Bann gebrochen und das Problem löste sich von selbst. Freundliches Gerempel vor Bühne wechselte sich von nun an mit schweißtreibendem Feiern ab und so pushten sich Gäste und eine immer besser aufgelegte Band durch den Abend.
Songauswahl vom Feinsten
Der Großteil der Tracks stammte vom aktuellen Album und erfreulicherweise aus dem Zeitraum von 1990-1996. Wuchtig-schleppende Nummern und schnelle Songs wechselten sich ab. Die Visualisierung auf der Leinwand betonte den Charakter der Lieder, drängte aber nicht zu sehr in den Vordergrund.
Eine Auflistung der Highlights macht auch rückwirkend Laune: Plasticity, Resist, Angriff, Shifting Through The Lens, Millenium, Mindphaser, Bio-Mechanic & Prophecy zogen alle musikalischen Register. Selbst Tracks wie Hostage konnten mit ihrem hibbligen Unterton punkten.
Der persönliche Höhepunkt kam völlig überraschend zu Beginn des 2. (?) Zugabeblocks: Liquid Separation ist einfach ein Monster von einem Song und einer der Klassiker der (durchaus umstrittenen) Millenium Ära. Danke dafür.
Ein fitter Bill Leeb
Bill Leeb ist bekanntermaßen nicht der beste Livesänger. Bei einem derart komplexen wie gewaltigen Sound besteht immer die Gefahr, dass seine Vocals untergehen. Glücklicherweise passiert dies nur bei 2-3 Stücken im Mittelteil, bei den restlichen Soundwallungen hielt er mit Vocoder-Unterstützung tapfer dagegen.
Überhaupt wirke der F.L.A. Frontmann – auch körperlich – viel fitter als bei seinen teilweise doch recht müden und labbrigen Auftritten im letzten Jahrzehnt. Offensichtlich tut ihm seine junge Bandcrew gut.
‘Geiles Getrommel’
Martialisches Extragetrommel – eine der Livequalitäten von F.L.A. schlechthin: Wenn ein Song auch nur die Chance dazu bot, rauschte die F.L.A. Crew an die Drums und verlieh dem Sound noch mehr Wucht und einen pushenden, militärischen Unterton. Genau so kann man Elektronik live lebendig machen. Songs wie Angriff, Millenium oder Mindphaser mutieren dadurch schlichtweg.
Fazit: Das war ein richtig gelungener Auftritt einer nach über 90-minütiger Spielzeit sichtlich zufriedenen Band.
So schließt sich ein bisschen der Kreis von der kaum erreichbaren Hard Wired Tour (1995) über die folgenden schwierigen Zeiten bis hin zur aktuellen Livepräsenz. Ein Wunsch für die Zukunft? Ja – Provision live wäre der Hammer und wünschen darf man sich bekanntlich ja alles.
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