
An der Oberfläche zu verweilen, das war noch nie das Ding von Haujobb. Ihr neustes Album Blendwerk erlaubt diesen Zugang auch gar nicht, denn das, was die Protagonisten innerhalb ihrer Strukturen bieten, zieht und zielt ins Innere. Emotion, Soundfetischismus und Futurismus, bisweilen irritierend und hochgradig antriggernd in der Wirkung.
Haujobb – Blendwerk
Der Blick auf die Haujobb-Geschichte erinnert vor dem ersten Durchgang daran, wie viele Spielarten der elektronisch inspirierten Musik Daniel Myer und Dejan Samardzic bereits ausgelotet haben.
Ob IDM, komplexe EBM, technoide Ansätze oder das Spiel mit dem Sound an sich, eine gewisse Ruhelosigkeit schwang in diesem Prozess ebenso mit, wie die bekannte Besessenheit in Hinblick auf die Details.
Mit dem letzten Album New World March betonten Haujobb wieder die Strukturen in den Nummern. Das tat ihnen gut, die Kontur machte ihre Musik greifbarer, ließ aber genug Raum für Kontrast und Wendungen.
Diesmal brodelt es noch gewaltiger unter Oberfläche, und das betrifft sowohl das Arrangement als auch die ungewohnt deutlich formulierten und gleichzeitig schnell entgleitenden Gefühle, die im Blendwerk rumoren. Die Unruhe der Protagonisten findet ihren Widerhall.
Eine perfekte Produktion ist man von Haujobb gewohnt und diesbezüglich markiert das neue Album keine Ausnahme.
Die Band gibt den neuen Songs Raum, sich zu entwickeln, dabei Gegensätze zu implementieren und somit eine fast greifbare Spannung zu generieren. Kaum hat man sie erfasst, kommt Unerwartetes ins Spiel – das Ausbrechende ist als fester Bestandteil innerhalb der Struktur integriert.
Liest sich etwas verwirrend? Richtig, denn eben jenen Effekt provozieren einige neue Tracks beim ersten Durchgang, genau das macht Blendwerk so spannend und gleichzeitig fordernd.
Vertonte Spannung in gelebten Gegensätzen
Atmosphärisch startet Completion, über dem minimalistischen Konstrukt begleitet Myers düster-erzählende Stimme den Hörer bis zum hymnischen und leicht schräg intonieren Refrain.
Ein passender Opener, denn die Eigenheiten des Titels tauchen im Verlauf des Albums immer wieder auf. Selten gab es in der Bandhistorie so offenkundige und klar akzentuierte Vocals, die in sehr melodischen Momenten ganz entfernt daran gemahnen, wie mutige Depeche Mode einst klangen.
Sie verleihen Haujobb einen sehr griffigen, ja fast organischen Charakter, der durch den futuristischen Grundklang den nötigen Gegenpart erhält.
Doch Entwarnung für die Hardcorefans: Schnell greifbare Popmusik ist nicht zu erwarten, denn der Gesamteindruck von Blendwerk fällt düster, unterschwellig wütend und bisweilen sehr kopflastig aus.
Dafür sorgen die im Rahmen der minimalen Strukturen gewählten Sounds, die jeden Freiraum nutzen und das Unerwartete einführen.
Futuristische Balladen und wütende Ausläufer
Z.B. in Form von Dark Heart 5, denn beim zweiten Song hält das Pianospiel überraschend Einzug. In Zusammenarbeit mit Zinovia entwickelt sich eine von Vocodern geprägte Ballade mit nachdenklichem Grundton und Tiefgang.
Anschließend kommt in Destroy einiges an Temperament zu Vorschein, es wird technoider und wuchtiger. Nach dem aufbauenden Auftakt hallen und hämmern die Shouts aggressiv durch die Boxen, sodass nicht nur der Titelname eine interpretative Nähe zu dem gleichlautenden Fixmer/McCarthy Track heraufbeschwört. Ein rhythmischer Hammersong voll aussagekräftigen Passagen mit einem “Wut-Myer”, wie es ihn selten zu hören gibt.
Failure greift ebenso eiskalt zu: Ratternde Sequenzen in bester EBM-Manier begleiten die düsteren Erzählungen, die erneut in einem bedrohlichen und gleichzeitig melodischen Refrain münden.
Eine mit traditionellen Elementen gespickte Nummer, die sich mit dem vorab bekannten und reduziert hämmernden Input/Error fast angeutet hat. Wiederrum dominiert eine dieser irritierend- intensiven Gesangslinien, sie bringt ein gewisses Unbehagen mit sich. So bündig und ergreifend können Haujobb klingen.
Spätestens jetzt hat einen das Album gefangen genommen.
Hoffnungsreduziert erzählt Information Space seine Geschichte, die gradlinige Rhythmik hält die konsequent ausufernde und immer bedrohlicher tönende Nummer zusammen. Der angeschlagene Protagonist vermittelt ein entrücktes Szenario, das jedem Science Fiction Ehre machen würde.
Manchmal fühlt man sich wie in jenen futuristischen Dickichtträumen, in denen der Reisende das Irrationale hinter der nächsten Ecke vermutet, die man niemals erreichen will – und deren Passage doch ein Muss ist, bis kurz vor der Erkenntnis das Reale die Schattenentwürfe verdrängt.
Durchschnaufen.
Haujobb liefern ein Statement ab
Leaving bietet darauf folgend den Besuch in einer nebulösen Chill-out-Lounge, sie ist voll von suggestiv flüsternden und Selbstzweifel verbreitenden Stimmen, kein Ort für die Ewigkeit.
Eigen die Dramaturgie von Little Miss Danger, sie wirkt gleichzeitig kalt und drohend. Haujobb geben sich wieder der Reduktion hin, aber innerhalb des Freiraums herrscht das analog-rebellische Tonspiel – jene Unruhe untermauert die deutlich akzentuierte Erzählung, welche die “erdige” und in diesem Fall un_Miss_verständliche Facette des Blendwerks so spürbar macht.
Meltdown stellt als folgender Titel sicher keinen Zufall dar, der Sprecher metakommuniziert im Vortrag seine Verfassung, er macht den Hörer unruhig und dadurch kommt die Botschaft an: “We are breaking down”. Das stimmt ohne Zweifel – und zweifelsohne ein sehr ehrlicher Track.
Beim ebenso düsteren Perfection trifft man einige flirrende Backgroundsounds, die schon Dead Market so belebten. Nicht ganz so grandios wie der Hit, aber eine Fortschreibung des Stimmungsbildes, das nicht selten Soundtrackqualität aufweist.
Nun erwartet man eigentlich einen Ausklang, doch was kümmert´s Haujobb: Jetzt legen sie erst richtig los – die Musiker lassen die Rhythmen frei und den noisigen Elementen ebenso ihren Lauf, wie den auffordernden Shouts.
Versierte EBM/Industrialfreaks werden den Appell “Scream with us” nicht unbeantwortet lassen. Dann ist der Spuk vorbei.
Fazit: Blendwerk zählt zu den intensivsten Alben des Jahres 2015, denn unter den oft minimalen, aber immer differenzierten und ausgearbeiteten Soundstrukturen brodelt es gewaltig. Mal unheimlich, mitunter unheimlich wütend bis aufgewühlt greifen die Nummern zu. Das Schräge gekonnt zu vertonen, die Emotionen auf Selbigem entlang gleiten zu lassen, das perfektionieren Haujobb innerhalb ihrer typisch eigenen Soundwelten. Die variantenreichen Vocals hauchen den Maschinen ihren wachen Geist ein und der ist sicher keine Frohnatur. Positiv-entspannt verlässt man das Erlebnis nicht, wohl aber mental angetriggert und angefixt – auf Ebenen, die man vielleicht selbst nicht so gut kannte.
Wertung: 8.5 von 10 Punkten (8.5/10)
Blendwerk Release Infos
Interpret: Haujobb
Label: Minuswelt (Soulfood)
Release: 06.11.2015
Stil: Electro/Industrial/Alternative
Tracklisting:
01 Completion
02 Dark Heart 5 (feat. Zinovia)
03 Destroy
04 Failures
05 Information Space
06 Input Error
07 Leaving
08 Little Miss Danger
09 Meltdown
10 Perfection
11 Produkt
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