Monströs die Thematik des dritten Longplayers der Erfurter Elektronik-Freaks Full Contact69. Futuristisch-grandios hingegen die Umsetzung, welche klare musikalische Referenzen zeigt und selbige schnurstracks in die Gegenwart befördert, um sie mit der apokalyptischen Thematik zu einen. Heraus kommt ein extrem versiertes, komplexes und zeitloses EBM/Industrial-Album, das die Messlatte in diesem Musiksegment so richtig hoch legt.
Full Contact69 – Zombie3 Ma4chine
So oft passiert es nicht, dass man nach den ersten Durchläufen eines frisch herausgekommenen Albums mit offenem Mund staunend vor den Boxen herumlungert und sich fragt, was hier gerade vor sich geht.
Mit ihrem dritten Longplayer Zombie3 Ma4chine erreicht die Erfurter Formation um Andreas Schubert allerdings genau das.
Und zwar nicht zufällig, denn betrachtet man dieses auffällig homogene Album naheliegenderweise erst Mal als Ganzes, dann treten einige Merkmale explizit hervor – und diese gefallen nicht nur den besungenen Zombies.
Die Fortschreibung der komplexen EBM-Spielart der frühen 90er Jahre
Zum Einen schafft es die Zombiemaschine, die beiden schon richtig gut gemachten Vorgänger des Projekts zu toppen: Man hat den Eindruck, dass die Protagonisten nun genau ihr Ding vertonen und genau so klingen wollen, wie es die Scheibe eben tut.
Vernehmbar ist ein Sound, der maßgeblich von Front Line Assembly (explizit: Tactical Neural Implant) beeinflusst ist und vieles aufgreift, was diese Formation Anfang bis Mitte der 90er so unvergleichlich gemacht hat.
Mit WE NEE3D SOME3 BA4CKUP ist konsequenterweise eine packende Hommage an Gun zu hören. Sie agiert dicht am Original und beschwört die Faszination und die Power der epochalen Nummer in modifizierter Form herauf.
Doch bei dieser eindeutigen Referenz bleibt Zombie3 Ma4chine beileibe nicht stehen, das ist so sicher, wie der gefürchtete “Run” der Zombies. Die edel tönende Produktion ergänzt Eigenes, sie wartet in diesem Zuge mit bisweilen etwas derberen Vocals & geschicktem Sampling auf.
Man klingt in der Soundauswahl originell und aktuell gleichzeitig, definiert scheinbar mühelos, wie die anspruchsvolle und hochgradig intelligente Spielart des EBM-Ansatzes 2016 klingen kann.
Viele Bands versuchten sich schon daran, den Glanz früherer Tage von FLA aufzugreifen. Einige – z.B. die so unterschätzen Plastic Assault oder auch neuere Ansätze wie Splatter Punk – waren durchaus gut dabei, doch das Erbe können – ganz ohne Größenwahn – FC69 mit ihrem 2016er Statement für sich reklamieren.
Das gibt einfach nen fetten Extrapunkt, denn ohne Können, Besessenheit, Respekt, Innovation, detaillierter Frickelei und einer klaren Idee geht bei diesem ambitionierten Anspruch nichts.
Die Kunst der Balance
Darüber hinausgehend gelingt es Full Contact69, genau das richtige Maß zwischen Komplexität, Wucht und Dramaturgie zu finden.
Jener Grad, in welchem das Gehirn die wohlige akustische Reizung ebenso genießt, wie sich der Körper von den Übersee-typischen Rhythmen packen lässt.
Ein Spagat, der ebenfalls im Songwriting gelingt – oft lösen sich die verschrobenen “Bögen” erst im Verlauf der Songs auf, sie wollen gar nicht voreilig gefallen, sondern im Gesamten überzeugen.
Extrem homogenes Werk mit hoher Dichte an bissigen Nummern
So stellt nach dem stimmungsvollen Auftakt das sehr zeitkritische und weltpolitisch angetriggerte SYSTE3M CRA4SH klar, dass auch direkte und geshoutete Klänge für die Band zum selbstverständlichen Handwerk gehören.
Eine satte “In-Your-Face-Nummer”, ganz in der Tradition von Move Your Ass, sie sorgte bereits live für positive Resonanz. Die Vocals wirken im Vortrag dezent “heavy” und verleihen dem Ganzen – passend zum Titel – eine adäquate Brutalität, ohne dabei ins “Overacting” zu geraten.
Man merkt an diesem frühen Punkt des Werks bereits passend integrierte Crossovereinflüsse, welche mehrmals in Form von Gitarrensamples, etwa beim schleppend-scheppernden GOD IS MY PE3RSONAL A4SSHOLE oder beim wuchtigen COLLA4TERAL DA4MAGE, zum Tragen kommen.
Selbige schlagen sich gelungen in Form einer rauen Gesamtwirkung und weniger im elektronisch versierten Soundbild selbst nieder, denn für die eher gitarrenbetonte Variante gibt´s ja Edriver 69.
Die Fähigkeit, komplexe Musik auf den Punkt zu bringen
Bei DI9GNITY wartet nach dem sich zuspitzenden Intro ein ultracooler Basslauf auf die Hörer. Dieser treibt die Vocals zum scharfzüngigen und wütenden Refrain. Er versprüht eine griffige Intensität und sollte nicht nur die Stomperfraktion, sondern alle geneigten Hörer am Kragen greifen und mächtig durchschütteln.
Exemplarisch wird das Besondere an Full Contact69 spürbar: Bei aller Komplexität kommen die Musiker immer wieder gezielt auf den Punkt – und dieser Fokus distanziert sie nachhaltig von Bands, deren umfangreicher Ansatz nie an Schärfe gewinnt und dadurch in Tracks mündet, die zwar cool klingen, aber eben gleichmäßig vor sich hin traben … bis sie aus dem Gedächtnis entfliehen.
Zurück zur Zombie3 Ma4chine: Technisch-nüchtern und satt in der Gangart vermittelt WE3LCOME das von FLA etablierte “We rule with technology”-Feeling der EBM-Szene. Ein düsterer und gepresst kläffender BASTA4RD folgt auf dem Fuße, Skinny Puppy könnte das gefallen.
Raum für subtile Momente und leicht noisige Impulse bietet die Scheibe ebenfalls, etwa mit FUCK OFF7 oder dem soundtrackartigen WA4KE UP, welches urplötzlich in einer Beatattacke mit zackigem und leicht verzerrtem Gesang mündet und das Aufwachen mal so richtig forciert.
Anschließend verabschiedet sich das ZOMBIE3 und evoziert die anfangs erwähne Frage: “Was zum Teufel war das?”
Fazit: Mit dem passend titulierten Albumnamen Zombie3 Ma4chine setzen Full Contact69 im Jahre 2016 anspruchsvolle EBM/Industrial Standards, die ihren Bezug zu FLA einerseits ganz offen zeigen und gleichzeitig selbigen konsequent fortführen. Komplex, packend und versiert in einem, derb in der Wirkung – ein klarer Anwärter für die Jahrescharts 2016.
Wertung: 9.5 von 10 Punkten (9.5/10)
Zombie3 Ma4chine Release Infos
Interpret: Full Contact69
Label: Eigenvertrieb via Bandcamp
Release: März 2016
Stil:EBM/Electro/Industrial
Tracklisting:
01. Recce (03:44)
02. Collateral Damage (04:20)
03. System Crash (03:20)
04. We Need Some Backup (04:55)
05. G.I.M.P.A. (03:46)
06. Dignity (04:46)
07. Welcome (05:40)
08. Bastard (03:48)
09. Bite The Dog (04:11)
10. Fuck Off (04:17)
11. Wake Up (05:02)
12. Zombie (02:40)
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