Es packt viele Hörer, wenn die Musik einerseits gefährlich klingt, dabei gleichzeitig einer durchdachten Linie folgt und zudem Inhalte vermittelt, die länger als gewöhnlich nachwirken. 2nd Face können auf der neuen EP Nihilum für sich reklamieren, genau dies zu beherrschen.
2nd Face – Nihilum EP
Es ist bei jungen Projekten immer die Frage, ob sie nach einem richtig guten Debüt wirklich nachlegen können. 2nd Face zählen zu dieser mit Risiko besetzten Fraktion, denn ihr Erstling Nemesis überzeugte vor gut einem Jahr durchweg. Nun folgt die neue EP Nihilum.
Das Pulver ist auf jeden Fall nicht mal ansatzweise verschossen, denn nach einem fast hymnischen Auftakt entpuppt sich das Titelstück im positiven Sinne als “Brett”. Übrigens nicht, weil es ultraschnell wäre oder die Rhythmik clubgefällig alles wegbomben würde. Das ist nicht der Fall, denn das Tempo ist eher im mittleren Bereich angesiedelt.
Vielmehr entwickelt sich aus der dosierten und doch gnadenlosen Wucht sowie den geschickt gesetzten Pausen im Laufe der Zeit einer der eindringlichsten Tracks des Jahres. Dazu tragen neben der stets spannenden Soundauswahl gleichzeitig die Vocals bei: Sie werden in der Strophe erzählend implementiert, um dann im recht komplexen – und vor allem emotional packenden – Refrain leicht entstellt an Tiefe zu gewinnen.
Und wenn es im Hintergrund brodelt, knarrt und zirpt, dann hat einen die Nummer wahrhaft gefangen genommen. Einer der stärksten Tracks der jüngeren Vergangenheit. Der auf der EP ebenfalls enthaltene Director’s Cut von Nihilum setzt diese Stärken dann auf fast acht Minuten Länge um – und keine Sekunde davon ist zuviel.
Gespür für Härte, Tiefgang und den mentalen Trigger
Etwas dezenter, aber nicht minder stimmungsvoll geht es mit dem düsteren Long Live Humanity weiter. In Kombination mit dem schleppenden Tempo sorgen die faszinierenden Fanfaren für Tiefgang und eine authentische Dark Electro Erfahrung. Man fühlt sich ab und an wie in jenen szenischen Skinny Puppy Momenten der 80er und 90er, welche bei vielen Musikfans wohlig in Erinnerung klingen.
Durchaus verspielter im Vortrag erstattet Nuclear Winter Is Coming anschließend Bericht über die drohenden Gefahren der Gegenwart. An dieser Stelle der EP zeigt sich, wie sicher 2nd Face die diversen Ausdrucksformen eigenwilliger elektronischer Musik beherrschen und gleichzeitig in der Lage sind, unangenehme Inhalte auf die Agenda zu setzen.
Ob wuchtig, komplex, düster oder vertrackt, es klingt immer stimmig. Gespür hat man oder nicht – auf Nihilum ist diese rar verteile Eigenschaft allgegenwärtig. Der letzte neue Song Blind Wanderer verdeutlicht dies abermals.
Er betont anfangs das Experiment und spielt mit Dissonanzen. Anschließend schält sich die klare Rhythmik aus dem Klangwall. Und doch weist die Stimmung etwas extrem Surreales auf. Dafür sorgen schräge Sounds, die erneut erzählende Stimme und der wahrlich unheilvolle Background gleichermaßen.
Ungefähr so klingt es wohl, wenn die dem Menschen innewohnende Mentalität wegzugleiten droht und erst im letzten Moment wieder eingefangen wird. Hier vollzogen durch den regelmäßigen Doppeltaktsprung.
Fazit: Wenn Musikfans das virtuose Titelstück nicht wegschießt, ist wohl Hopfen und Malz verloren. Man wird dann mit der EP wenig anfangen können. Allen Anderen sei dieses abwechslungsreiche und musikalisch extrem durchdachte sowie durchaus emotional packende Release zwischen EBM, richtigem Dark Electro und dezent noisigen Ideen – von der Band gerne als Modern Industrial beschrieben – ans Herz gelegt.
Wertung: 9 von 10 Punkten (9/10)
Nihilum Release Infos
Interpret: 2nd Face
Label: Dependent
Release: Juni 2018
Stil: EBM / Dark Electro
Tracklisting:
1. Nihilum (Essential) 06:01
2. Long Live Humanity 04:36
3. Nuclear Winter Is Coming 04:36
4. Blind Wanderer 05:22
5. Nihilum (Director’s Cut) 07:53
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