Endlich: 15 Jahre nach dem umstrittenen Big Hit Release ein neues Album der EBM-Legende Nitzer Ebb. Für die Band gar nicht so leicht. Klingen sie auf dem neuen Album zu sehr ‘back to the roots’, gehen sie womöglich im Heer der (teils wirklich guten) Epigonen unter. Wie positioniert sich Industrial Complex?
Industrial Complex mit Einflüssen aller Nitzer Ebb Alben
Eins vorweg: Industrial Complex ist nicht That Total Age II. Vielmehr integrieren Douglas McCarthy und Bon Harris Fragmente aller bisherigen Alben in das neue Werk. Heraus kommt ein Gebilde, das schwerpunktmäßig zwischen Belief und Ebbhead liegt.
Treibende EBM-Momente
Der Opener Promises ist gleich ein Statement. Der stakkatoartige Basslauf erinnert nicht nur ein bisschen an Murderous. Douglas Stimme variiert zwischen energisch und fragil, ein packender Track.
Atemlosen Stoff für die Tanzfläche transportiert das leicht angeblueste Once You Say mit backing Vocals des Depeche Mode Songwriters M. L. Gore. Die Nummer hat einen neckischen Unterton, der sich irgendwo im Gesang des Nitzer Ebb Frontmanns verbirgt.
Eine stimmlich coole Attitüde und einen zackigen Basslauf jagt I Dont´Know You durch die hoffentlich belastbaren Boxen.
Mit Down On Your Knees liefern Nitzer Ebb im Verlauf des Albums einen weiteren, schlichtweg exzellenten EBM-Clubstampfer ab. Glasklar produziert punktet die eingängige Melodie ebenso, wie die im Refrain leicht dissonant eingespielten Flächensounds, die dem Track eine irritierende Note geben. EBM im Jahre 2010.
Starke Augenblicke mit Tiefgang
Dann finden sich auf Industrial Complex Songs, die man Nitzer Ebb so vielleicht nicht zugetraut hätte. Klar – Come Alive von der AS IS ep deutete an, dass die Band auch Balladen drauf hat. Going Away und I´m Undone – zwei Songs die meiner Meinung nach zusammen gehören – toppen das locker.
Luft anhalten, Nitzer Ebb führen den Hörer in emotional tiefer liegende Regionen. Und nicht eine Sekunde lang kommt der Verdacht auf, dass die Nummern kitschig sind. Douglas verleiht seiner Stimme streckenweise eine Schärfe, die das hervorbringt, was Nitzer Ebb so auszeichnet: Intensität pur und das auch in den stillen Momenten.
Sperrige Tracks
Seit dem Belief Album schreiben die Briten teilweise Tracks, die schleppend bis verschachtelt daherkommen und erst nach einigen Durchläufen Eindruck hinterlassen.
Besonders das sich langsame entwickelnde My Door Is Open mit seinem überraschend pumpenden Mittelteil macht klar, dass sich die investierte Zeit lohnt.
Und warum nicht auch ein verspielter, lockerer Song wie Hit You Back? Lediglich mit Never Known werde ich nicht so recht warm.
Wo sind die Shouts?
Eins fehlt noch: Auf die legendären Shouts will man keinesfalls komplett verzichten. Und dann – fast am Ende der CD – kehrt ein alter Freund zurück: Die Wut.
Kiss Kiss Bang Bang transportiert genau die geshoutete Härte, mit der Nitzer Ebb live so viele andere Bands an die Wand spielen. Und es ist wie bei alten Freunden, es funktioniert immer, auch wenn man sich länger nicht mehr gesehen hat.
Als ‘music for angry young boys’ wurde der Nitzer Sound damals beschrieben. Die jetzt zornigen Männer feuern bei der Nummer ein direktes, adrenalindurchtränktes EBM-Statement ab, ohne dabei wie ein Abklatsch früherer Tage zu klingen.
Industrial Complex: Highlight 2010
Mit einem Bein fest in der Electronic Body Music, mit dem anderen im gereiften Songwriting verankert, liefern Nitzer Ebb ein variables, soundtechnisch hochwertiges und auf ganzer Linie überzeugendes Werk ab.
Das Album spricht neben eingefleischten Fankreisen eventuell neue Hörer an.
Die Remixe
Die belgische Edition enthält fünf Remixe des Songs Once You Say. Die Remixer gehen allesamt eher vorsichtig ans Werk.
Komor Kommando liefert erwartungsgemäß eine cluborientierte Electroversion mit den bekannten Standartsounds ab, Leaether Strip arbeitet die EBM-Elemente gekonnt auf und die Version von Implant spielt mit launigen Rockeinflüssen.
Der Hammermix kommt allerdings von Pouppée Fabrikk: Es ist nicht überraschend, dass die Schweden dem Song eine gewisse Brutalität verleihen, der in spannendem Kontrast zu dem eher moderatem Gesang steht.
Wertung: 9 von 10 Punkten (9/10)
wat isn mit meinem Zweit-Liebling Payroll? *grübel*
Lieblinge sind ja so subjektiv ;-) Auf seine Weise gewinnt Payroll auch im Kontext des Albums dazu. Ich muss bei dem Song immer etwas an die Red Hot Chili Peppers denken. Und die esse ich lieber, als sie durch die Boxen zu jagen. Aber vielleicht wird das ja noch, geht mir bei einigen Nitzer Tracks seit Belief immer so.
bei mir hat es auch gedauert, ich fands anfangs ziemlich scheußlich, jetz is es auf Platz 2 vorgerutscht *gg*