Review: Sturm Café – Fernes Land

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ArtikelbildZum 20-jährigen Bandbestehen hauen Sturm Café mit Fernes Land womöglich ihr bisher ungewöhnlichstes, auf jeden Fall aber poppigstes Album raus. Es tönt derart retro und 80er, dass man die kleinen Spitzen und typischen Pfiffigkeiten fast überhört, welche die Tracks bieten. Dass die Schweden sowas können, sollte allerdings nicht überraschen, deuteten sie ihre Vorliebe für diese moderate Variante bereits mehrmals an. Alte EBM-Fans mögen etwas zweifeln, doch sie werden ihre Lieblinge – nur jetzt in einem modifizierten Gewand – durchaus wiedererkennen.

Sturm Café goes minimal Synthpop

Sturm Café stehen seit Anbeginn vor rund 20 Jahren dafür, reduzierte EBM mit treibenden Bässen und deutschen Texten vortragen. Nicht immer perfekt in der Wortwahl, aber gerade dadurch eigen und originell.

Mehr noch: Dieser Ansatz erlaubt es, Ernstes durchaus humorvoll darzubieten und Humorvolles neu zu deuten. Die durchaus beachtliche Bekanntheit des schwedischen Duos – auch über den harten EBM-Kern hinaus – fußt genau darauf.

So auch beim neuen, neun Songs umfassenden Werk Fernes Land. Doch musikalisch gestaltet sich beim Jubiläums-Album vieles anders. Gleichwohl – komplett überraschend kommt dieser deutlich spürbare Schwenk zum Synthpop der 80er nicht.

Bereits der bekannte Szene-Hit Der Löwe sowie einige weitere Tracks neuerem Datums zeigen, dass Sturm Café Melodie können und im sich Bereich der musikalischen Nostalgie durchaus wohlfühlen.

Nostalgisches Popalbum im Stil der 80er Jahre

Zäumen wir das Ganze doch mal von hinten auf: Nach wie vor dominieren reduzierte Strukturen und die bekannte, in den Strophen meist gesprochene Erzählweise der Songs. Doch die Maschinen frönen dieses Mal der retrospektiven Harmonie, viele Geräusche beschwören die bunten 80er Jahre oder zumindest eine aktuelle Erinnerung, welche diese Dekade positiv deutet.

Ein Name die wie Schreckensinsel klingt fast wie eine alte Hörspielfolge der Drei ??? oder von H.G. Francis. Tanzbar und retrospektiv, bestimmt von Rhythmik, analogen Sounds und relaxtem Basslauf folgt der Hörer dem Fluchtversuch von der furchtbaren Zombieinsel. Anspieltipp.

Verspielt agieren Sturm Cafè ebenfalls: Ob leichte Italo-Disko-Einflüsse (Spiel Mit Mir) oder sogar ein funky Basslauf im Stile von Another One Bites The Dust (Queen) in Funkbereit – hier wühlt jemand intensiv in seinen musikalischen Erinnerungen.

Zu der zitierten Dekade gehören natürlich auch die typischen Bleep- und Laserklänge: Sie finden sich in Diskolied, welches stilistisch genau ein solches ist. Insgesamt fällt schnell auf, dass die neuen Songs sehr durchdacht vorgetragen werden; es wurde Zeit für passende vintage Sounds, wohlige Samples (Fernes Land) und runde, hymnische Refrains investiert.

Ernste Momente mit Kraft

Sturm Café tun allerdings gut daran, ab und an eine Portion Kraft zu integrieren und somit den Schulterschluss zu den alten Werken zu meistern. Schauspiel stampft durch die fröhlich-farbenfrohe Welt und erzählt seine ruppige Geschichte. Es neigt am meisten zur EBM, ist voll mit Testosteron und nennt Probleme, wenn eben nur Testosteron, aber kein Sicherungsmechanismus mehr vorhanden ist.

Männer gegen Männer greift ebenfalls eine gewaltige Thematik auf und signalisiert, wie sehr der poppige Ansatz natürlich den stimmlichen Vortrag beeinflusst. Die Songs werden mit mehr Ausdruck und Volumen gesungen, nicht so überdreht intoniert wie beispielsweise frühe Klassiker der Marke Radiosüchtig. Beides hat übrigens seinen Wert und Charme.

Dass Sturm Café inmitten ihres Spiels mit Sprache und Deutung etwas Raum für Nachdenklichkeit und Zweifel lassen, das zeigt das monoton inszenierte So Lange Es Geht recht pointiert.

Eingeleitet wird Fernes Land übrigens von einem mit Samples gespickten Intro mit dem passenden Namen … Intro. Es kündigt augenzwinkernd schwedische Qualität an – und löst sie im neuen, sehr eingängigen Soundmantel ein.

Fazit: Man mag an einigen Stellen das überbordende Temperament missen, welches das Duo normalerweise zur Schau stellt. Doch die neuen, sehr an den 80er Jahren und klassischem Synthpop orientierten Songs punkten mit Charme und einer gewissen Spitzbübigkeit. Fernes Land, das sind auch die weit zurückliegenden musikalischen Dekaden mit ihren klaren Melodien – und den so wohligen analogen Klängen. Wer sich darauf einlassen kann, erhält ein gelungenes Vintage-Synthpop-Werk mit Nostalgie-Bonus in bewährter schwedischer Qualität. Sturm Cafè tragen 2021 Turnschuhe statt Stiefel – und sie sitzen durchaus.

Wertung: 8 von 10 Punkten (8.0/10)

Fernes Land Release Infos

Interpret: Sturm Café
Label: Eigenvertrieb – Bezug via Bandcamp
Release: Februar 2021
Stil: Synthpop/ Retro 80s

Tracklisting:
01. Intro
02. Männer Gegen Männer
03. So Lange Es Geht
04. Fernes Land
05. Funkbereit
06. Schauspiel
07. Discolied
08. Spielzeit
09. Die Schreckensinsel

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