Review: OMD – ‘English Electric’

omd-english-electricWas ist eigentlich aus unseren Träumen geworden? Diese Frage beantworten OMD auf ihrem neuen Album, dem Konzeptwerk English Electric ebenso elegant wie wehmütig. Synthetisch, retrofuturistisch und gespickt mit Reminiszenzen.

OMD – English Electric

Das Comebackalbum History Of Modern brachte OMD 2010 nicht nur zurück ins Gespräch, es überraschte mit feinsten und vor allem kreativen Synthie-Songs, geschickten Wendungen und frischen Melodien in bester Bandmanier. Ganz sicher: So klingt kein altes Eisen!

Dann die Frage: Was kommt nach so einem Album? OMD beantworten dies mit einem Konzeptwerk. Über English Electric schwebt fast durchgehend eine getragene bis nostalgische Stimmung.

Der Titel stammt von einem britischen Industrieunternehmen und bringt OMDs Identität perfekt auf den Punkt; und für die Eisenbahn-Liebhaber und bekennenden Technik-Fans Andy McCluskey und Paul Humphreys hat er auch darüber hinaus Bedeutung.

In den 80er Jahren, in einer Zeit geprägt von rasantem technischen Wandel und dem schnellen Herannahen eines neuen Jahrhunderts, skizzierten OMD ihre (hoffnungsvollen) Zukunftsvisionen.

Angekommen in der Zukunft, die sie einst entwarfen, reflektiert English Electric darüber, wie anders sich die Welt tatsächlich entwickelt hat.

Damit geht es um Entwicklungen, um Enttäuschungen und persönliche Erlebnisse sowie die Erkenntnis: Die Umwelt hat sich verändert.

OMD 2013

OMD 2013

Elegant-wehmütiger Zeitgeist

Das klingt einerseits sehr elegant, wie auf der fast an Kraftwerk gemahnenden und bewusst monoton gehaltenen Single Metroland zu vernehmen ist.

Sehr rhythmisch inszeniert, reflektiert die Nummer den technisch optimierten Zeitgeist, vergisst aber nie das naive und hoffnungsvoll-weitläufige Synthiespiel, die Faszination am Sound. Perfekter, moderner Electropop. Metroland war keine zufällige Wahl als erste Single, es sticht aus den neuen Songs heraus.

Viele Lieder des Albums wirken leichtfüßig, verspielt nostalgisch und dennoch mit einer Prise Wehmut versehen. Das Duo eckt dabei wenig an, demonstriert aber in jedem Song seine Erfahrung – vieles wirkt einfach vertraut. OMD wissen, wie man technische Perfektion und Stimmung harmonisiert.

Typische OMD Elemente

OMD Fans entdecken “typische” Themen ihrer Lieblinge: etwa Andys metaphorische Ballade über eine Frau der Zeitgeschichte (Helen of Troy). Oder Pauls souveräne synthetische Hooks, die bisweilen fast ein “schwoofiges” Feeling verbreiten. Achtung: Das könnte sogar den eigenen Eltern gefallen! Ein Kontrast zu den mitunter bitteren Texten.

Das Album bewegt sich fast zwanghaft grüblerisch zwischen den Zeiten. Zwischen Ehemaligem und der Gegenwart als Realität. Es hätte doch anders kommen sollen …?

OMDEinerseits stimmig-verhalten in der Umsetzung, andererseits bietet English Electric durch die melancholische Grundhaltung nicht so eine enorme Vielfalt wie etwa History Of Modern.

Und vielleicht hätte eine kleine Dosis Frust über das Jetzt dem ein oder anderen Song eine gewisse Würze verliehen, den bisweilen sehr getragenen Charakter von English Electric vitalisiert.

Natürlich können OMD das: Mit Dresden naht ein Song, der die klassischen Stärken von OMD bündelt und einfach frisch und “rund” daherkommt. Eine satte Melodie, die noch immer so jung klingenden Vocals und der gepflegte Schuss Nostalgie reihen diesen Song problemlos bei den großen OMD Titeln ein. Vermutlich ein Singlekandidat und schlichtweg wunderschön.

Ausreißer abseits konventioneller Songstrukturen

Als heimliche Renner des Albums entpuppen sich die collagenartigen Tracks. Bewusst vom klassischen Songwritung abweichend, versprühen Decimal und Atomic Ranch ein keckes, fast provokantes Feeling.

Freche Samples mit Forderungen und Aussagen, die man aus dem hektischen Leben der Gegenwart kennt, erinnern an das (technische forcierte) Getriebensein. OMD grinsen den Hörer ganz ungeniert aus dem Gegenwartsspiegel an: “Das bist DU! Jetzt und hier. Sag mal, warum hast Du Deine Mails noch nicht beantwortet?”

Fazit: OMD präsentieren mit English Electric ein retrofuturistisches Werk, gemäßigt im Temperament und perfekt-wehmütig in der synthetischen Machart. Bis auf wenige Nummern nicht auf Hits geeicht, sondern auf Stimmung setzend. Ein Album, das seine (wohlverdiente) Zeit benötigt und dem im Mittelteil allerdings etwas die Schärfe fehlt.

Wertung: 7.5 von 10 Punkten (7.5/10)

English Electric Release Infos

Interpret: OMD
Label: Bmg Rights Management (Rough Trade)
Release: 05.04.2013
Stil: Synthie Pop

Tracklisting:
1. „Please Remain Seated“
2. „Metroland“
3. „Night Café“
4. „The Future Will Be Silent“
5. „Helen of Troy“
6. „Our System“
7. „Kissing The Machine“
8. „Decimal“
9. „Stay With Me“
10. „Dresden“
11. „Atomic Ranch“
12. „Final Song“



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3 thoughts on “Review: OMD – ‘English Electric’”

  1. Danke für diesen wunderbaren Text. Ich habe auch eine Bewertung geschrieben. Das Wehmütige habe ich dabei völlig außer Acht gelassen. Aber wenn ich es mir so recht überlege, ist das richtig.

    Meine großen Knaller des Albums sind “Metroland”, “Our system” und “Dresden”, mal ganz abgesehen von “Atomic Ranch”, das für mich das Highlight ist.

    Ich habe bei mir geschrieben, dass das Album mehr ein “Dazzle Ships” und ein wenig ein “Pacific Age” ist. Gerade die poppigen Nummern wie “Night Café” erinnern ein wenig an das Album, das US-like getrimmt wurde.

    Alles in allem finde ich “English Electric” sehr gelungen. Und ja, irgendwie ist es ein Konzeptalbum. Wenn ihr wollt, ich habe mal meinen Artikel verlinkt.

    1. kw sagt:

      Danke für den Kommentar. Das in dem hiesigen KW-Review und dem extern verlinkten und sehr lesenswerten Artikel erwähnte “Dresden” wird übrigens die zweite OMD Single.

      1. Oh, danke für das Feedback.

        Ich habe das auch übereinstimmend von verschiedenen Richtungen her gehört. Es soll gar schon das Video dafür fertig sein.

        Viele grüße.

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