M´era Luna Bericht 2013 – ein elektronischer Blick auf das Festival

Bill Leeb live auf dem M´era Luna 2013

Bill Leeb live auf dem M´era Luna 2013Es ist vorbei, das M´era Luna Festival 2013. Zahlreiche Eindrücke hallen nach, Positives und Zwiespältiges. Namenhafte Bands elektronischer Provenienz fanden sich im diesjährigen Line-up. Wer überzeugte, was überraschte? Eindrücke, Anmerkungen und einige Schnappschüsse aus Hildesheim/Drispenstedt.

Bericht: M´era Luna Festival 2013

Voll war´s auf dem M´era Luna Festival 2013 – und teuer. Voll teuer sozusagen.

Man braucht sich nichts vorzumachen: Das M´era Luna ist eine hochgradig durchkommerzialisierte Veranstaltung.

Das ist zunächst nichts Negatives, wenn man sich für die auftretenden Bands ernsthaft interessiert und im Gegenzug ein gut organisiertes Festival mit allerlei zusätzlichen Attraktionen erlebt. Und das ist das M´era natürlich.

Besucherzahlen des M´era Luna 2013

Der Veranstalter meldet ausverkauft: 25 000 Besucher. Tatsächlich wirkte das Gelände sehr voll, überall emsiger Betrieb. Insofern hat sich das Verpflichten vieler etablierter Bands rentiert.

Schwierig wird es, wenn der kommerzielle Fokus zusätzlich aus allen Poren trieft. Bei den Getränkepreisen und Restriktionen, was auf das Gelände darf und was nicht, schrie den kritischen Gast die Geldmacherei fast schon an.

Kaum ein Quadratzentimeter, der nicht verplant schien, vielleicht ein bisschen zu viel des Guten. Das machte das Gelände bei der Fülle spürbar unbequem.

Aber eben wohl kalkuliert; für nicht wenige mitten im Leben stehende Besucher ist das Festival ein beliebter Jahres-Treffpunkt und eine Art Urlaub – und dort zeigt man sich bekanntlich spendabel. Solange dies klappt, bleiben die Preise eben auf ambitioniertem Niveau.

Wenig Raum für junge, talentierte Bands?

Das als skeptische Anmerkung, musikalisch gab´s im Rahmen der recht rockigen Ausrichtung durchaus Spannendes, wenn auch der ein oder andere Auftritt im Ablauf etwas deplatziert wirkte (etwa Front 242 zwischen Blutengel und Nightwish). Inhaltlich wirkt sich dies insofern aus, als dass junge Bands (egal welches Genre) kaum noch Spielzeit bekommen.

Ein Kritikpunkt, der viele größere “Alternativfestivals” betrifft. Ohne Publikumsmagneten geht es realistisch gesehen sicher nicht, das Gefühl, dass dennoch etwas fehlt, keimte hingegen bei nicht gerade wenigen Besuchern auf.

Bandberichte

Bei einem solchen Festival sagt den Besuchern zwangsläufig nicht jede Band zu. Ab einer gewissen Größe einfach Normalität, das gilt insbesondere für das M´era Luna 2013. Der Blick mit elektronischem Schwerpunkt.

Haujobb

2003 waren Haujobb das letzte Mal auf dem M´era. Konsequent daher die Frage ans Publikum: “Kennt Ihr uns überhaupt noch?”

Haujobb Mastermind Daniel Myer am Mikro
Nach 10 Jahren Pause überzeugten Haujobb live auf dem M´era Luna

Ja, kannten sie – und viel wichtiger: Haujobb kam gut rüber, die Mixtur aus dem etwas eingängigeren, melodischen Sound der New World March Comeback-Scheibe überzeugte und funktionierte. Haujobb wirken auch live organischer, fassbarer.

Die gestärkte melodische Gestalt wertet die von Haujobb so gerne genutzten, fast dekonstruierenden Soundeinschübe auf, verleiht der Mixtur eine spannende Wirkung. Der richtige Grad zwischen Songstruktur und Herausforderung.

Zu Beginn war der Klang noch nicht ganz perfekt ausgesteuert, sodass die etwas tiefer gesungenen Passagen leicht untergingen. Das besserte sich jedoch im Verlauf spürbar.

Tracks wie das EBM-lastige Let´s Drop Bombs, die bärenstarke Single Dead Market und das sich stetig entwickelnde Album-Highlight Soul Reader markierten die Eckpunkte eines rundum gelungenen Auftritts mit einem auch gesanglich sehr gut aufgelegten Daniel Myer.

The Klinik

Endlich mal Headliner: Zu später Stunde lud der belgische EBM-Dauerbrenner The Klinik im Hangar zu minimal-zackigen Sequenzen, gepaart mit der so ungemein klaustrophobischen Grundstimmung der Band ein.

Statt Mullbinden weiße Masken, aber sonst ein typischer The Klinik Auftritt, der stets von den entrückten, nahezu eruptiv-abgleitenden Bewegungen von Dirk Ivens lebt.

Das Duo bändigt Mentales mit Tanzbarkeit, Verstörendes mit Antrieb – taucht man in diese spezielle Stimmung ein, dann gibt es kein Entrinnen. Besonders, da die Liveumsetzung die Originale aus dem Studio nicht selten übertrifft – meist wirken die Liveversionen energischer und noch konzentrierter.

Ein wahres Hitfeuerwerk folgte: Black Leather, Moving Hands, Pain And Pleasure, Obsession, Hours And Hours oder Memories zogen nahezu alle Anwesende in ihren Bann.

Auffällig: Die subtilen Titel des neuen Albums Eat Your Heart Out fügten sich nahtlos ins Set ein, verliehen diesem Tiefe und Stimmung.

Mit den überragenden Zugaben Braindamage und Go Back endete ein ebenso spezieller wie packender Auftritt, der vom Publikum entsprechend honoriert wurde und ein Highlight des M´era Luna 2013 setzte. Samstag Ende.

Apoptygma Berzerk

Flott und auffällig elektronisch ausgerichtet verbreiteten Apoptygma Berzerk am Sonntag Nachmittag gute Laune.

Mit allerlei etablierten (und beliebten) Hits im Gepäck bewegte die Formation das Publikum, überzeugte mit gut ausgesteuertem Sound (nicht selbstverständlich auf der Main Stage) und gewohnt sympathischem Auftreten.

Sie sind nach wie vor eine typische Festival-Band, sprechen verschiedene Zielgruppen an und können so schnell einen Großteil des Publikums für sich gewinnen.

Mit Non-Stop Violence, Paranoia, Love Never Dies oder Eclipse passierten Apoptygma Berzerk ihre bis dato erfolgreichsten Stationen.

Dabei natürlich auch die neue Single: Major Tom, der alte NDW Hit, wurde von den Norwegern in ihrem typischen Stil überarbeitet.

Entspannend anzuschauen, für Fans eine passende Retrospektive ihrer Lieblinge. Gelungen.

Kirlian Camera

Neugierig ging´s zu Kirlian Camera, die erst jüngst ihre Single Black August vorstellten. Es folgte ein unerwartet intensiver Moment.

Sängerin Elena Alice Fossi legte eine nahezu perfekte Gesangsleistung hin – ausdrucksstark, kräftig intoniert und angesichts der positiven Reaktionen mit fühlbarer Begeisterung vorgetragen.

Selten, dass jemand in der Lage ist, anspruchsvollen Gesang auch live perfekt zu modulieren und den Songs derart Leben einzuhauchen.

Optisch begleiteten Videos über Aliens und die (vermutete) Alien-Infiltration auf der Erde den Auftritt, welchen die Band zumeist mit ihren eher schnellen und tanzbaren Titeln wie Eclipse, Heldenplatz oder dem bejubelten Klassiker Edges bestritt.

Bild: Aliens auf der Erde? - Kirlian Camera mit UFO-Thematik
Aliens auf der Erde? – Kirlian Camera mit UFO-Thematik

Eine gute Wahl, das Publikum ging immer mehr mit, honorierte die ausdrucksstarke Präsentation.

Besonderheit: Die bis zu zwei Gitarristen bereicherten den elektronischen Sound, fügten sich aber gekonnt ins Gesamtbild ein. K-Pax gewann in dieser Szenerie sogar nochmals an Klasse.

Ein künstlerisch toller Moment des Wochenendes, Band und Publikum zogen nach gespielter Zugabe mehr als zufrieden von dannen.

Front 242

Front 242 haben in ihre Karriere schon viele prägende und begeisternde Auftritte hingelegt, von ihrer musikalischen Bedeutung für das EBM-Genre mal ganz zu schweigen. Dieser gehörte leider nicht dazu.

Mit Spannung nach ihrer kurzen Auszeit erwartet, legten die Belgier stimmungsvoll mit neuem Intro + Moldavia los. Richard 23 agierte gewohnt umtriebig und aufgedreht.

Aber irgendwie passten im Verlauf Songauswahl und -umsetzung, Tageslicht und vor allem die Soundabmischung nicht zusammen. Vieles wirkte erstaunlich drucklos, fast brav und vor allem zu leise.

Der spezielle Kick, den Front 242 fast immer provozieren, ging dabei ebenso flöten, wie die leider zu wenig vernehmbare Stimme von Sänger Jean-Luc, seines Zeichens prinzipiell einer der besten Sänger in dem Genre.

Sicher funktionieren die alten Hits wie Headhunter immer, aber selbst Toptitel wie Quite Unusual oder Don´t Crash kamen etwas farblos und eben nicht optimal abgemischt/umgesetzt daher.

Front 242  in neuem Outfit live auf dem M´era Luna 2013
Front 242 in neuem Outfit live auf dem M´era Luna 2013

Und so war die Resonanz im Durchschnitt auch erstaunlich verhalten, die Reaktionen eher moderat bis gemischt im Charakter.

Ausreißer nach oben legten Front 242 mit dem ewig packenden Commando Mix oder dem Ur-Klassiker U-Men hin, aber an ihre mitreißenden jüngeren Konzerte, etwa beim Christmas Ball 2009 oder 2011, kam die EBM-Legende nie heran. Schade, da halfen auch die neuen Momente wenig.

Front Line Assembly

Ebenso wie The Klinik am Vortag, haben sich Front Line Assembly ihren Headliner-Status im Hangar redlich verdient, auch wenn der Beginn sich mit dem Ende des Front 242 Auftritts überschnitt. Das wurde schon im Vorfeld bemängelt und war einfach suboptimal geplant.

Bill Leeb ist bekanntermaßen nicht der beste Livesänger und braucht meist 2-3 Nummern, um in Fahrt zu kommen und richtig in den Auftritt hinein zu finden.

So auch beim M´era Luna 2013, aber dann fegten F.L.A. richtig los: Klassiker wie das frenetisch gefeierte Plasticity oder Millenium wechselten sich mit Highlights des aktuellen Echogenetic Albums ab (Killing Grounds, Blood).

Einer der besten Titel des 2010er I.E.D.-Albums – Shifting Through The Lens – fand glücklicherweise ebenfalls seinen Weg ins Set.

Die Masse dankte es ihnen begeistert und mit viel Bewegung, der Pit vorne peitsche seine langjährigen Helden ruppig an.

Front Line Assembly live auf dem M´era Luna 2013
Front Line Assembly begeisterten mit einer kraftvollen Liveshow im Hangar

Kraftvolle zusätzliche Drum-Einlagen beim Kultsong Mindphaser oder dem rockigen Surface Patterns brachten die Nummern auf ein neues Level, oder kurz gesagt: einfach geiles Getrommel!

Die Band brannte ein Soundfeuerwerk ab, das vieles an dem Tag in den Schatten stellte. Ebenso kompakt wie komplex und mit einer gewissen Urgewalt im Nachklang.

Der Sound lebte, brodelte in den Gehörgängen. Eine Zugabe mehr hätte es sein können, aber offensichtlich durften F.L.A. nicht länger.

Dennoch ein feiner Abschluss für das M´era Luna 2013, ein Festival mit Licht und Schatten.

M´era Luna Links

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5 Kommentare

  1. danke für die prima zusammenfassung der künstlerleisrungen, aber bitte was soll denn die einleitung des artikels? die 90er sind vorbei, und damit auch bald die zeit derer die noch immer auf den schulden von herrlichen, wahrhaft alternativen festivals aus jenen tagen sitzen. ihr wisst schon wer der veranstalter ist? ihr wart schon mal in wacken, bei rock am ring, oder dem glastonbury festival? ihr wart wahrscheinlich akkreditiert und musstet das ticket nicht selbst zahlen? also, was soll dann dieser exkurs ins erste semester volkswirtschaftslehre von der abendschule? wenn aldi und fsk mal ein joint venture machen, dann seid ihr wohl wieder dabei…

    • So eine Reaktion war zu erwarten und hat trotzdem zumindest einmalig den Versuch einer vernünftigen Antwort verdient. Denke eher, dass die Zeit vorbei ist, in der man blind alles hinnimmt.

      Das muss jeder selbst für sich entscheiden und kritische Stimmen sind ein Teil der Auseinandersetzung. Wer genau liest: Es ist kein Problem, dass ein Veranstalter kommerziell denkt: Künstler, Helfer sollen ihre Kohle bekommen und es ist keine Schande, wenn ehemalige Underground-Bands bekannt werden. Damit sich ein größeres Festival rentiert, sind etablierte Namen nötig.

      Spätestens, wenn man sich für Teile derartiger Musik begeistert, dann sollte man aber nicht den Ast absägen, auf dem man sitzt. Damit ist eben auch interessanter Nachwuchs gemeint (egal welches Genre). Etwas, was auf dem WGT beispielsweise scheinbar dosiert möglich ist.

      Somit geht´s nicht um “wahrhaft alternative Festivals”, sondern um Raum für Newcomer, einen zumindest fairen Stil gegenüber den Gästen. In dem Bericht wird die Meinung vertreten, dass es bisweilen etwas zu viel des “Guten” war, so what? Wacken und Rock am Ring spielen im Rahmen dieser Einschätzung keine Rolle, warum auch?

    • Das ist bekannt. Wie erwähnt ist bei einem “runden” Festival die kommerzielle Grundhaltung des Veranstalters an sich nicht das Problem, sondern der Eindruck, dass diese in einigen Punkten überzogen wurde. Sie wirkt sich zudem seit geraumer Zeit teilweise inhaltlich negativ aus (wenig Raum für junge Bands, Pendeln der ewig gleichen Headliner zwischen den größeren Festivals).

      Es wird nicht besser, wenn man in den Rock/Metal-Bereich schaut und darauf verweist, dass es dort ebenfalls so ist, daher spielen Wacken etc. in diesem Zusammenhang keine Rolle.

  2. Tolle Zusammenfassung, der ich gerne zustimme.

    Apoptygma habe ich zwar nur am sprichwörtlichen Rande erlebt… Wem’s gefällt… (Und das waren scheinbar sehr viele!). Ich würde bei der Kritik an Front 242 noch etwas weitergehen, aber da spricht vielleicht auch der Frust aus mir. Hatte mich drauf gefreut und war am Ende ziemlich entgeistert. Front 242 waren für mich die Enttäuschung des Festivals, aber so habe ich wenigstens nicht eine einzige Minute des großartigen FLA Auftritts verpasst.

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